Jakobsweg

_________________________________________________________________________________





Der Jakobsweg kann keine Alternative sein

Eigentlich hatte ich mich auf mein schon länger ersehntes Projekt vorbereitet: Ins Tibet zu reisen, mich an Ort und Stelle zu organisieren, Führer, Träger zu verpflichten, Lebensmittel und das notwendige Material zu besorgen. Mit dem Ziel, von Lhasa in Richtung Basislager des Mt. Everest loszuziehen, um schlussendlich den Shisha Pangma, 8'013 m über Meer, zu besteigen.

Nachdem ich vor einigen Jahren den Aconcagua, 7'020 m (Argentinien), bestiegen habe, war es und ist es mein Ziel, einen 8'000er zu schaffen.
Mehrere Monate habe ich mich auf dieses Vorhaben vorbereitet und zwei Monate vorgesehen.
Die politische Lage an Ort, vor allem im Tibet, war fragwürdig und ich entschied, das Projekt zu verschieben. „ Gehe nie freiwillig in ein Gebiet, in welchem Unruhe herrscht“.
Was nun mit einem freien Zeitfenster von zwei Monaten?
Vom Jakobsweg habe ich schon einiges gehört, warum nicht?
Ich entschloss mich kurzerhand, mich auf den Weg zu machen.


6. Mai 2009

Als ich in Uster in die S-Bahn stieg, wurde es mir immer plausibler, ja Klarheit kam auf, dass Genf – Santiago de Compostella, ca. 2'700 km in zwei Monaten, die ich mir gegeben habe, nicht zu schaffen sind.
In Zürich hatte ich bis zum Anschlusszug eine halbe Stunde Aufenthalt. Ich begab mich ganz spontan zur SBB-Informationsstelle und erkundigte mich, wie ich wohl in eine Stadt zwischen Genf und St. Jean Pied de Porc komme. Da in Frankreich die Bahnlinien vor allem Nord-Süd existieren, kam eigentlich nur Cahors in Frage. Für mich einen guten Ausgangspunkt mit etwa 800 km weniger Fussweg bis zum Ziel.
„Ja, könnte klappen“ sagte die freundliche Dame am Schalter.
Die Reise führte mit dem TGV, 1. Klasse versteht sich, von Zürich Hauptbahnhof nach Paris Gare de l’Est. Weiter ging’s mit der Metro zur Gare d’Austerlitz. Bereits da dachte ich mir, ob ich wohl doch zuviel Ware eingepackt habe; nun das Gepäck war nun einmal da.
Die zwei Stunden Aufenthalt verbrachte ich mit Warten. Ich nutzte die Zeit und schaute im Büchlein nach „Der Weg ist das Ziel“ von Birgit Götzmann, Conrad Stein Verlag, was für mögliche Unterkünfte sich in Cahors anbieten. Den ersten Gîte, den ich anrief, war positiv. Es hatte noch eine Schlafstelle in einem Dreierzimmer. Mit einem „Schnellzug“ mit vielen Haltestellen konnte ich direkt nach Cahors reisen. Meine Reise ab Zürich nach Cahors betrug 15 Stunden.
Im Gîte d’étape „Le Ralais des Jacobins“, den ich nach meinem ersten Fussmarsch in dreiviertel Stunden erreichte, erhielt ich einen freundlichen Empfang. Ich konnte gleich mein Dreibettzimmer beziehen.
Als ich runter ging, befanden sich bereits 8 weitere Wanderer im Gästeraum und waren bereits beim Abendessen. Die Suppe war bereits serviert und der Inhalt der grossen Schüssel, die auf der Tischmitte stand, war vollständig aufgegessen. Die Wirtsleute, das heisst die Gastgeberin und zugleich Köchin, machte sich daran, mir eine frische Suppe zu holen. Bevor dies geschah, gab ich ihr freundlich zu verstehen, dass ich keine möchte. Das Essen war tip-top: gemischter Reis mit einer Art Coque-au-vin. Dieser war ungewohnt zubereitet: Ohne Wein, dafür mit viel Kräuter, Rosinen und mit Speckwürfeli bestückt. Das Ganze hatte einen asiatischen Einschlag, wie übrigens auch die Gastgeberin.
Nach dem Nachtessen begab ich mich noch in das schöne Städtchen Cahors. In einer Brasserie an der Hauptstrasse bestellte ich mir einen Kaffee obwohl ich wusste, dass der Kaffee in Frankreich in der Regel scheusslich schmeckt.
Ja, dachte ich mir, du gehst eine Reise an und du landest irgendwo im Süden Frankreichs.
Zurück in meiner Unterkunft schlief die Dame im Bett Nr. 3 bereits tief. Dass es sich um eine Frau handelte, erkannte ich an den Händen.
So leise wie möglich machte ich im Nebenraum meine notdürftige Abendtoilette, bevor ich in mein Bett kroch.


7. Mai 2009

Als ich aufstand, lag meine Zimmergenossin immer noch im Tiefschlaf.
Nach einem kargen Frühstück (schwarzer Kaffee mit ein paar Stückchen Baguette, ich dünkle dieses Brot gerne in der schwarzen Brühe), machte ich mich an die Organisation meines ersten Marschtages. Von „Cahors“ nach „Montcuq“ (das q spricht man aus).
Ich verabschiedete mich bei meinen Gastgebern und lief los. Ich hatte vorgängig in Erfahrung gebracht, dass es einen Gepäckträgerdienst gibt, welcher beliebiges Gepäck von der ursprünglichen zur nächsten Destination transportiert. Diese Dienstleitung von „Rapid-bac“ kam mir sehr gelegen, da ich schweres Gepäck hatte, zwei volle Rucksäcke. So konnte ich einen Rucksack mit allem, was ich für den aktuellen Tag nicht benötigte, stehen lassen. Dieser wurde beschriftet mit Name und Destination, das heisst Ort und Unterkunft. Dazu legte man 8 Euro, eine Pauschale die gebräuchlich war.
Ab dem „Pont Valenté“ ging’s los, einen steilen Hang hinauf. Der Weg war durchzogen mit felsigen, steinigen Abschnitten und mit vielen, in den Fels geschlagenen Treppen. Die Aussicht auf „Cahors“ und übers Land war einzigartig. Die baumähnlichen Ginstersträucher waren ungewohnt gross und in voller Blüte.
 
       
 
In dieser ersten Etappe habe ich gleich festgestellt, dass ich nicht als Orientierungs-läufer geboren war. Viermal habe ich mich an diesem Tag verlaufen. Das vierte Mal hat mich 12 zusätzliche km gekostet oder ein Viertel mehr der geplanten 40 km. Ich musste ja mein Tagesziel erreichen, da mich dort mein Gepäck erwartete.
 
   
 
Es hat sich gelohnt. Der Weg führte durch die Rebgüter von „Cahors“. Die kräftigen Rebstöcke, der weisse Kalksteinboden und die warme Sonne des Südens Frankreichs wie auch das sichtlich grosszügige Schneiden der Reben zeugt für einen guten, wenn nicht hervorragenden Wein.
 
   
 
Auf dem Weg kam ich mit einem Bauer ins Gespräch, der sich auf seinem Hof bei seinen Rindern befand. Ich begrüsste ihn mit “Je vous souhaite beaucoup de chance dans l’Ecurie“, das soviel heisst wie « Glück im Stall „. Er quittierte diesen Gruss mit erstaunten Augen und freudigem Gesicht. Wir sprachen eine Weile und ich ging weiter.
In einem kleineren Dorf, das ich durchquerte, bemerkte ich das Schild an einem wunderbaren alten, aber völlig in Stand gestelltem Haus, „A Vendre“.
Ich trat in den grossen, mit vielen Blumen und wunderbaren Bäumen bestückten Garten ein. Eine ältere freundliche Dame kam auf mich zu und begrüsste mich.
Ich erfuhr, dass sie und ihr Ehemann das Haus, ein grosses, Sechszimmer- Herrschaftshaus mit 2,7 ha Umschwung und gedecktem, grossen Aussenschwimmbad, verkaufen möchten, um in „Montpelier“ eine Eigentumswohnung zu kaufen.
Das ganze Anwesen, ein Bijou, ist seit zwei Jahren auf dem Markt und für 370‘000 Euro nicht verkäuflich.
Wie ich später erfahren habe, sind die Liegenschaftspreise in dieser Gegend in den zwei letzten Jahren dramatisch in den Keller gefahren. Vierzig bis fünfzig Prozent sind nicht die Ausnahmen. Vor allem Engländer, die vor Jahren im Süden Frankreichs Eigentum erworben haben, wollen heute verkaufen.
Im grosszügigen Wohnraum unterhielten wir uns bei einem kühlen Getränk. Eine sympathische Begegnung.
 
     
 
Nach über sieben Stunden Marschzeit sitze ich in „Montcoq“ in einem Strassencafé bei einem gespritzten Weissen, obwohl dieses Getränk hier nicht bekannt ist. Ich mixte mir das Ding selbst zurecht.
Das Gästehaus, welches ich aufsuchte, hatte ich am Vorabend reserviert. Es beherbergte zwei Gästezimmer in einem alten aber gepflegten Gebäude. Ich konnte ein Doppelzimmer mit separater Dusche alleine benutzen, was mir sehr recht war. Der Vermieter, etwas über Fünfzig, Immobilienhändler, der in diesem Haus geboren ist, hat das Geschäft von seinem Vater übernommen. Gleich konnten wir, die Chemie stimmte, ein gutes Gespräch führen. Diese Unterkunft kostete Fünfzehn Euro.
In einer Brasserie am Dorfplatz nahm ich den Apero ein, ich bestellte gleich eine Flasche Roten und zwar Wein aus „Cahors“. Später verlangte ich die Speisekarte. Auf meine Frage an die Köchin, welches Fleisch ich bestellen solle, kam die Antwort spontan: Entrecôtes und Frites. Ausnahmsweise hat sie mir an Stelle der Frites Bohnen gemacht. Das Ganze war OK. Ich bestellte nochmals eine Flasche mit dem Gedanken, der Serviertochter und der Köchin ein Glas zu offerieren. Doch damit war nichts, beide lehnten höflich ab. Somit blieb mir nichts anderes übrig als die zweite Flasche alleine zu trinken. Doch mit einem Stück Blaukäse passte dies ausgezeichnet. Ich kam noch mit jüngeren Leute ins Gespräch, die ein grosses Interesse für die Schweiz zeigten. Das bewog mich, eine Runde zu offerieren. Die Jungs waren nicht abgeneigt und so ging es weiter.


8. Mai 2009

Da für den nächsten Tag Regen angesagt war, habe ich mich entsprechend ausgerüstet. Mein Ziel war „Lauzerte-L’Auberge de l’Aube Nouvelle“. Auch an diesem grauen Tag habe ich mich vermehrt verlaufen.
Viele Wege führten durch bewaldetes Gebiet. Wunderbare Hohlwege. Ich dachte an Wilhelm Tell: „durch diese hohle Gasse muss er kommen“, der satanische Gessler, der danach lebensunfähig war. „Lebensunfähig?“, ja, er war danach eben nicht mehr am Leben.
Weiter an einem Bauernhof vorbei. Es sah wie in einer Müllgrube aus. Dieser Hof „Bonal“ wird mir in Erinnerung bleiben. Es war von Getränken und Nusskuchen die Rede. Meine Gedanken waren bei einer Bündner oder Walliser Nusstorte. Ich machte mich auf dem Hof bemerkbar. Der Hofhund, weissschwarzer Schäfer, beobachtete mich lauernd. Als mich die Bäuerin grusslos an einen schäbigen Tisch, der sich am Wegrand befand, verwies, folgte ich den Anweisungen.
Ich hatte mich kaum bewegt und schon spürte ich das Zubeissen an meiner linken Wade. Ich wendete mich um wie eine Sprungfeder und schrie „salle cabot je te fout en l’air“, was ich hier lieber nicht übersetzen möchte. Ja, er hatte mich richtig erwischt. Ein Fangzahn hatte sich in den Muskel eingebohrt. Mit der schärfsten Klinge meines „Leatherman“ habe ich die Wunde zusätzlich aufgeschnitten so, dass es richtig blutete und desinfizierte das Ganze mit Schnaps aus meinem Flachmann. Die Alte versuchte alle Ausreden zu finden, welchen ich keine Beachtung schenkte.
Das ausgetrocknete, unappetitliche Nusstörtchen habe ich den Hofkatzen verfüttert, die allem Anschein nach ausgehungert waren.
Nach dem ganzen Abenteuer dachte ich mir, gut habe ich mein „Krokodil-Dandy“- Messer, welches ich bei Expeditionen bei mir trage, nicht gezückt.

Auch an diesem Tag habe ich mich wieder mal gehörig verlaufen. Dies merkte ich, als ich ein vorbeifahrendes Auto anhielt und nach dem „Gîte Saint Martin“ fragte. Nach meiner Meinung müsste ich eigentlich gleich da sein. Das war überhaupt nicht der Fall, ich muss im Kreis gelaufen sein. Der freundliche Mann am Steuer des Fahrzeugs erklärte mir, dass mein Ziel noch ca. 12 bis 15 km entfernt sei. Wahrscheinlich beobachtete er mein Gesicht, in dem eine riesige Endtäuschung abzulesen war. Spontan meinte er, „ich fahre Sie hin“. Ich überlegte nicht zweimal, warf den schweren Rucksack in den Kofferraum und stieg dankend auf den Beifahrersitz des bescheidenen Fahrzeugs. Erst dann bemerkte ich die zwei Knaben auf dem Rücksitz, die vor sich hin kicherten. Die dachten sicher, was will dieser Fremde allein und verlassen auf dieser einsamen Strasse. Der Fahrer und ich unterhielten uns über Belangloses, bis er mir sagte, dass wir gleich da sind. Ich versuchte ihm möglichst unauffällig zu verstehen zu geben, dass er nicht bis in den Weiler fahren möchte. Ja, stimmt ich wollte nicht, dass man mich aus einem Wagen steigen sieht.
Nachdem ich meinen Rucksack aufgeschnallt hatte, begab ich mich zu Fahrerseite und wollte den beiden Buben je zehn Euro überreichen. „Pour la tirlire“, habe ich mit einem Augenzwinkern gesagt. Aber „ohalätz“. Da hat sich der Vater der beiden Buben energisch zur Wehr gesetzt und klar gesagt „das kommt überhaupt nicht in Frage“. Eine Widerrede wäre da aussichtslos gewesen.

Der „Gîte Saint Martin“ steht in einem sehr kleinen Weiler und das kleine Kirchlein rundet diese Idylle ab.

 
   
 
Im „Gîte Saint Martin“ konnten wir einen Arzt anrufen um zu erfahren, ob eine Tetanusimpfung notwendig sei. Zum Glück hatte ich meine Impfausweise dabei. Da meine Tetanusimpfung noch bis 2013 gültig ist, konnte der Arzt mir versichern, dass eine zusätzliche Impfung für die beschriebene Wunde nicht notwendig sei. Auf meine Frage konnte er mir auch bestätigen, dass in der Region keine Tollwut bekannt sei, was mich sehr beruhigte.

Ja, es war ein schöner Abend bei Georgina, Engländerin, und Antony, Franzose.
Bevor die beiden Töchterchen, vier und sechs Jahre, schlafen gehen mussten und sich höflich verabschiedeten, spielte ich ihnen noch etwas auf meiner Mundharmonika vor.
 
   
 
Auch die weiteren Gästen, wir waren etwa zwölf Personen am Tisch, waren entzückt.
Antony und ich haben uns noch bis tief in die Nacht bei einer Flasche Armagnac unterhalten. Er hat mir seine Lebensgeschichte erzählt. Von seiner Passion Sportwagen und dem Rallyefahren. Die im ganzen Haus verteilten Schaukästen, gefüllt mit Miniatursportautos, bestätigen dies.
Seine Erzählungen über die unzähligen gefahrenen Rallyes waren begeisternd. Er ist heute siebenundfünfzig Jahre alt und will unbedingt noch einmal an einem Rallye teilnehmen.
 
   
 
Die Flasche war bedenklich leer, als wir uns gute Nacht wünschten.
Das wunderbar englisch eingerichtete Haus und der ganze Charme, welches es ausstrahlte, werden mir in bester Erinnerung bleiben.
 
     
 

9. Mai 2009
 
Am nächsten Morgen ging’s los in Richtung Moissac. Ein ausgesprochen unangenehmer Weg, eigentlich alles auf Asphalt. Das Städtchen war klein mit einem wunderbaren mittelalterlichen Kern und einer riesigen Kathedrale. Es war Samstag und der grosse Markt bot alles, was das Herz begehrte, vor allem Frischprodukte aller Art und in grosser Vielfalt. Eingemachte Gänse- und Entenleber in allen Variationen waren fast an jedem Stand zu haben. Leider konnte ich die schönen Produkte nur mit den Augen bewundern, von kaufen war ja keine Rede, ich musste weiter marschieren.
 
         
 
Der Weg in Richtung Lectoure war nicht besonders interessant, wahrscheinlich auch darum, da grosse Atomkraftwerke, wie Monumente, das Bild dominierten. Ja, und immer diese Hunde. Ob die wohl auf Jakobswegwanderer abgerichtet sind? Obwohl in der Regel hinter Gitter, sind die Bestien ausgesprochen aggressiv. Auf meine Unterkunft im Lectoure „Chambre d’Hôtes“ war ich gespannt. Es ist 17.00 Uhr und ich sitze in einem schönen Strassencafé und genehmige mir einen trockenen Weissen.
Das Gîte befand sich mitten im Dorf. Joèlle Pans war eine jüngere Gastgeberin, ihr Mann war eher der Akademiker-Typ. Man trat über einen Hinterhof in das Anwesen. Ich war vom Haus positiv überrascht. Ich zog mich um und ging zum zweiten Mal zum Apero in den Dorfkern.
 
     
 
Um 19.30 Uhr war das Nachtessen angesagt. Die vier weiteren Gäste waren aus der Pariser Region, was man eigentlich gleich erkennen konnte. Der eine, ein geschwätziger Typ, kommentierte alles, wusste alles und konnte, wie es bei solchen Leuten üblich ist, nicht zuhören. Eigentlich das Wichtigere, das Essen war OK: Entenbrust mit einem Linsengericht. Zum Nachtisch wurde ein ganz spezieller Fruchtsalat mit verschiedenen Beeren zubereitet.


10. Mai 2009

Von „Lecture“ lief ich los in Richtung „Condom“. Bereits nach einigen Km wurde der Waldweg immer sumpfiger. Bis zum Knöchel sank ich ein, einen Ausweg gab es nicht. Der Pfad war durch das dichte Gebüsch quasi eingerahmt. Nach zwanzig Minuten waren nicht nur meine Schuhe, sondern auch meine Socken und somit auch meine Füsse völlig durchnässt und dies nach nur ein paar Km. Ich entschloss mich umzukehren und diesem unfreundlichen Weg nicht mehr zu folgen. Die Strecke war ja berechenbar.
Es regnete in Strömen. Ich war gut ausgerüstet, hatte meinen Regenüberhang und die Regenhosen ab, die mich schützen sollten. Und trotzdem, das Kondenswasser, welches sich zwischen meinem schwitzenden Körper und dem Gummizeug bildete, führte dazu, dass nun nicht nur meine Füsse, sondern dass ich von Kopf bis Fuss durchnässt weitergehen musste.
Zum Glück hatte ich den MP3 Player, den ich mir vor diesem Abenteuer in einem Spezialgeschäft besorgt habe. Mit mehr als 2'000 Titeln bestückt, gab er mir einigermassen Garantie, dass ich kaum zweimal das Vergnügen haben werde, dasselbe Stück zweimal zu hören. Ja, Musik als Begleitung kann einem das Leben in vielen Situationen versüssen. Besten Dank an Clémence und Pit, die mir das Gerät gefüllt haben.
 
   
 
Den Rest meiner Tagesstrecke lief ich auf der asphaltierten Strasse. Als der Regenfall
abnahm und schlussendlich aufhörte, sah die Welt ganz anders, ja viel besser aus.
 
         
 
Die Vögel pfiffen, ja unter anderen erkannte ich auch sogar den Gesang der Nachtigal, von der man sagt, sie sänge die schönsten Melodien. Andere meinen, es sei die Amsel.
Wie ich erfahren habe, kommen die Amseln (Männchen) mit einem Standard-Gesangs-repertoire zur Welt,. Danach kommt, je nach Begabung, einiges dazu: Melodien welche sie anderen Singvögeln ablauschen. Daher die Virtuosität und Unterschiedlichkeit der Gesänge, welche die Amseln von sich geben können.
Ja, ich hatte wieder Freude, die schöne Landschaft zu betrachten und all diesen Geräuschen und Tönen zu horchen. Und schon befand ich mich im Armagnacgebiet.
 
     
 
In „Condom“ angekommen erkundigte ich mich nach meinem nächsten Gîte „Castelnau sur L’auvignon“. Da ich der Hauptstrasse gefolgt war, habe ich die Herberge prompt verpasst und hätte 12 Km zurücktschumppeln müssen. Das war mir echt zu viel. Ich stellte auf meinem Handy die Telefonnummer der Herberge ein und bat meine zukünftigen Gastgeber, mich abzuholen.
 
   
 
Es war ein typisches Gîte mit lediglich zwei Gästezimmern mit zwei und drei Betten. Janine und Andres waren nette Gastgeber. Sie betreiben diese Gastgeberei aus rein materiellen Gründen. Aus Mittelfrankreich kommend, haben sie hier Land gefunden und das Haus, hauptsächlich in Eigenarbeit, gebaut. Andres ist seit einiger Zeit arbeitslos. Er meint, dass in seinem Alter, um die fünfzig, die Chancen für eine Stelle klein, wenn nicht aussichtslos seien.
Ja, und so kam es dazu, da sich das Haus auf dem Weg befindet, dass sie anfingen zwei Räume jeweils mit Halbpension an Pilger zu vermieten. Pro Person 30 Euro. Hochsaison ist Mai und Juni, danach kommen noch zwei Herbstmonate dazu.
In dieser Art Unterkunft sind die Rollen klar aufgeteilt und erstaunlich vergleichbar. Die Frau ist der Chef und im Vordergrund, er ist im Hintergrund und verrichtet Nebenarbeiten. Es kommt einem vor, als ob er froh sein muss, da wohnen zu dürfen.
Es war lediglich noch ein Gast anwesend. Ein komischer Kauz, der kaum ein Wort sprach. Meinen Gruss erwiderte er kaum.
Beim Nachtessen, an welchem die beiden Töchter und der Freund der einen teilnahmen, kam ein zögerliches Gespräch zustande.
Es war eine scheussliche Nacht mit diesem Kerl im Zimmer, der schnarchte, dass sich die Balken bogen. Auf mein Pfeifen, Schreien und Schütteln reagierte er nicht. Um
02.00 Uhr morgens flüchtete ich in den Vorraum und sank in ein kleines aber rettendes Kanapee.


11. Mai 2009

Zurück in Condom, rief ich den Gepäcktransportdienst an, um ihnen mitzuteilen, dass ich samt Gepäck bis Aire-sur-l’Adour mitfahren möchte. Ich wollte diese Dienstleitung eins zu eins miterleben. Lange musste ich nicht warten. Nach etwa zwei Stunden kam der Kastenwagen angefahren.
Das Gespräch mit Michel war gut und wie er über sein Unternehmen, das er mit seiner Frau seit zwei Jahren betrieb, berichtete, war lehrreich. Täglich absolviert er oder sie 7-800 km Fahrt und dies grösstenteils auf Nebenstrassen. Ein Kaffeehalt in einem Gîte und das Gespräch mit den Inhabern, die Michel gut kannten, trug meinem Wissen noch einiges bei.
 
       
 
Wir fuhren mitten durch das Armagnacgebiet, das Herz ist das Städtchen „Eauze“.
Aus dem Armagnac wird auch ein “Nebenprodukt“ hergestellt, welches vorwiegend in diesem Gebiet angeboten wird. Der lokale Aperitif nennt sich „Floc“. Die Herstellung erfolgt auf der Basis des in der Regel 40 %igen Armagnacs und wird mit Rot- oder Weisswein ergänzt, was ein angenehmes, kühlserviertes 17%iges Getränk ergibt.
In Air-sur l’Adour fängt die Ära der „Stierkämpfe“ an. Auch dieser Ort verfügt über eine Arena. Die Stiere werden bei diesen Schauspielen nicht verletzt oder gar getötet. Es geht dabei um die Geschicklichkeit der Toreros.
Ich bin im Hotel-Restaurant L’Ahumat untergebracht. Nach der letzten Nacht war mir klar, dass ich nur Gästezimmer mit Einzelzimmerbenutzung oder Hotels aufsuchen werde.
An diesem Abend war nicht viel los, ich ging in ein Café zum Apéro und genehmigte mir zwei, drei „Flocs“ rote und weisse. In der Gaststube des Hotels waren ausschliesslich Jakobswanderer anzutreffen.
Ich konnte mir vorstellen, einige Ausnahmen ausgenommen, dass es in einer Alterssiedlung etwa so aussehen könnte.
Diese Nacht schlief ich wie ein Stein, hatte ich doch die vergangene Nacht neben diesem Ungeheuer verbringen müssen.


12. Mai 2009

Ich liess mir Zeit, pflegte meine Füsse und zog meine neu erstandenen „Kompaktstrümpfe“ an, bevor ich mich in Richtung „Miramont-Sensacq“ aufmachte.
Ich zog los und fühlte mich gut in Form. Als ich zum Städtchen hinauswanderte, fiel mir wiederum auf, dass in Frankreich, zumindest in dieser Region, eine allgemeine „Beschäftigungstherapie“ herrscht. Alle amtliche oder Gemeindefahrzeuge waren mit einem Fahrer und einem Beifahrer bestückt.
Über Land bemerkte ich die riesigen Äcker. Schier unendlich schienen sie mir. Schätzungsweise 1 auch 1,5 km in der Länge oder Breite, waren keine Ausnahmen über 100 ha, wenn ich mich nicht täusche. Die Bewässerungsanlagen waren ebenso beeidruckend, auf riesigen Rollen mit einer Breite von über 200 m.
Da dachte ich mir, und so soll unsere Landwirtschaft konkurrenzfähig bleiben. Bei Bauernhöfen, welche im Durchschnitt mit einem Umschwung von unter 15 bis 20 ha auskommen sollten, wohl kaum.
Bei der Überquerung einer riesigen Autobahnbaustelle, in dieser kam ich mir vor wie eine Ameise, erkundigte ich mich nach dem Fortlauf des Weges. Die Lastfahrzeuge, die emsig Berge von Erde abtransportierten, hatten eine von mir noch nie gesehene Dimension. Die Räder überflügelten meine Grösse bei Weitem.
Da half mir meine französische Muttersprache deutlich und ich konnte mich auch in diesem Durcheinander und Lärm durchfragen und trotz allem den richtigen Weg wieder finden.
Nach „Latrille“ traf ich auf einen Pilger, den ich am Vorabend mit einer Begleiterin am Nebentisch beobachtet hatte, was blieb mir an diesem Abend wohl anders übrig. Sie sprachen intensiv aufeinander ein, wie es ein Ehepaar kaum tun würde. Sie war mittelhübsch und Vegetarierin. Nein, verheiratet waren sie nicht, das Fehlen von Ringen sprach dieselbe Sprache, oder deutete zumindest darauf hin.
Jedenfalls erkannte ich ihn wieder und sprach ihn in französischer Sprache an. Er gab mir zu verstehen, dass er dieser Sprache nicht kundig war. Darauf wechselte ich auf deutsch. Darauf fragte er mich, ob ich Oestereicher sei? Mich! Mit meiner roten, mit lauter Schweizerkreuzchen beschmückten Kopfbandage. Dabei dachte ich mir, hat man schon einen Österreicher französisch sprechen hören?
Darauf sagte ich ihm, wir waren gestern Tischnachbarn. Ach ja? Erwiderte er,
„stimmt, ich erinnere mich“.
Darauf zog ich los, mit den Worten „ich wünsche Ihnen einen schönen Weg“.
An diesem Tag kam ich mir wie ein junges Reh vor, das davon flog und schon bald traf ich in „Miramont-Sensacq“ ein.
Das Hôtel-Restaurant Beaumont war sauber und mit einfachen Zimmern ausgerüstet.
Alle dies Hôtels, die empfohlen werden, sind von einfachsten Standard und günstig im Preis. Je nach der Ortschaft zwischen 30-40 Euro, inklusive Halbpension.
Nach dem Abendessen, es war wieder mal Entenkeule angesagt, begab ich mich in die vereinsamte Bar. Die Wirtin und Besitzerin, sie besass ein schönes Gesicht, welches von dunklen lockigen Harr umgeben war, erzählte mir nach einiger Zeit ihre Lebensgeschichte. Erstaunlich, war sie doch den ganzen Abend so zurückhaltend.
 
   
 
Nach dem dritten Armagnac wusste ich, dass ihr Mann vor fünf Jahren gesundheitlich Pech hatte und den Küchendienst aufgeben musste. Früher hatten sie mit dem einzigen Hôtel-Restaurant Betrieb an Ort allerhand zu tun. Hochzeit, Tauffester an Wochenenden und über die Woche viele Mittag- und Nachtessen wie auch regelmässige Übernachtungen mit Gästen, die einen ordentlichen Preis bezahlten.
Nun ist das Ganze auf den Empfang der Pilger geschrumpft. Ob sie davon leben können? Wahrscheinlich eher knapp.


13. Mai 2009

Am Morgen um 09.00 Uhr zog ich los. Der Himmel war schwer bedeckt. Zum Glück regnete es in der Nacht stark und das Nass hat sich am Morgen zurückgezogen. Ich zog
an grossen Zuchtbetrieben vorbei. Die Stallungen für die Rinder bestanden aus überdimensionalen Unterständen, welche auf drei Seiten als Wind- und Wetterschutz geschlossen waren. Die Rinder waren riesige beige-weisse Tiere. Ich schätzte über hundert Stück pro Hof. Die Schweinezuchten konnte man von Weitem riechen. Bei diesem Gestank konnte man sich kaum vorstellen, dass diese Tiere mal auf einem Teller landen. Auch die Entenfarmen waren beeindruckend und in unseren Gebieten kaum vorstellbar. Von weitem kam es einem wie ein weisses Feld vor. Auffallend waren die Unordnung und der Schrott, der auf diesen Höfen herumlag. Ein Emmentaler Bauer würde sich kaum getrauen nur hinzuschauen.
Der Weg nach „Arthez-de-Béorn“ über „Arzacq-Arraziguet“ war steinig, oder anders gesagt, teilweise ausgesprochen sumpfig. Für ein Km benötigte ich teilweise über eine halbe Stunde. Erstaunlich, dass die Gemeindenverwaltungen nichts unternehmen, um diese Wege auszutrocknen, zum Beispiel mit altem Ziegelmaterial oder sonstigen naturfreundlichen Materialien zu belegen. Lebt doch ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung von diesem Weg.
Im Café du Palais machte ich den ersten Halt, genehmigte mir einen Drink und spielte eine Runde Billard.
Der Empfang der Gastgeber, Irène und Edward Lawrenson, wie auch die Unterkunft haben mir auf Anhieb einen guten Eindruck gemacht. Alles war gemütlich, aufgeräumt und freundlich.
 
   
 
An dieser Stelle möchte ich festhalten, dass auf diesem Weg die Gastfreundschaft wie erstaunlicherweise auch das Essen der Engländer (englische Gastgeber) überzeugt. Dies kann man von den französischen Gastgebern nicht behaupten. So unter dem Motto „das Geld schicken und gar nicht vorbeikommen“. Es soll auch, vor allem englische Gastgeber geben, welche Unterkünfte aus gesellschaftlichen Gründen führen und dies mit besten Speiseangeboten zu konkurrenzlosen Preisen.
Das Abendessen bei Jèren und Edward war das Beste bis zu diesem Tag. Die Unterhaltung bei Tisch mit den drei älteren Damen, welche ebenfalls unterwegs waren, war ausgesprochen unterhaltsam. Ich habe Lydie Carrière, Lucette Celis und Monique Rouchon zu meiner traditionellen Neujahrsparty am 2. Januar um 17.00 Uhr eingeladen.
 
   
 


14. Mai 2009
 
Als ich nach einem Kaffee in Richtung „Maslacq“ aufbrach, regnete es in Strömen. Der Fluss, ein riesiges Gewässer Namens „Gave de Pau“, welcher in den „Adour“ fliesst, überquoll bereits. Das Wetter war nicht auf meiner Seite und spielte verrückt. Der Hagel, der scheinbar immer überraschend kam, hatte in den letzten Tagen viele Reben und Tausende von ha Gemüseanbaufläche zerstört.
Im Hotel „Mongouber“ kehrte ich zu einem Kaffee ein.
In diesen kleinen Ortschaften wird ab Verkaufswagen eingekauft, wie bei uns vor vierzig Jahren. Der Gemüsler, der Fleischer, der Molkereiproduktefahrer und wahrscheinlich auch der Fischanbieter fahren vorbei, nehmen die Bestellungen auf und bringen die Produkte an die Theke.
Am Ziel eingetroffen, habe ich im Hotel Central ein schönes Zimmer bezogen, das Haus wurde in den zwei letzten Jahren ausgehöhlt und geschmackvoll umgebaut und eingerichtet. Auf meinem Rundgang im Dorf stiess ich auf eine Kapelle mit wunderschönen, einzigartigen Familiengräbern.
 
       

   
 
Ich freute mich nun auf den Apéro, den ich im Café „de la place“ einnehmen würde.
Die Wirtsleute waren offen und gesprächig. Die beiden bringen gemeinsam sicher über 250 Kilogramm auf die Waage.
 
   
 
Jean-Pierre und seine Frau erzählten mir viel über ihre Vorfahren, über die Gemeindepolitik, über die Region und über Weiteres mehr. Vor lauter Zuhören habe ich beinahe meinen Hunger vergessen. Es war bereits über 19.30 Uhr.
Die Auswahl für das Abendessen war nicht riesig und ich entschloss mich wieder mal für die Entenkeule. Wenn das so weiter geht, dachte ich mir, würden mir wohl bald Flügel wachsen. An einem entfernten Tisch sassen zwei Schweizer, die ich, nach dem Käse, an ihrem Tisch aufsuchte. Es stellte sich heraus, dass sie aus Luzern waren. Sie sind Brüder und beide Juristen. Der eine betreibt eine grössere Anwaltpraxis und der andere ist Polizeikommandant von Luzern. Unsere Gespräche waren interessant und angeregt. Die beiden Brüder habe ich auch zu meiner Neujahrsparty eingeladen.
Die beiden Brüder tippeln den Weg in Etappen ab, Wochen- und Zweiwochenweise.
Ich hatte mir zum Nachtessen eine Flasche Roten genehmigt. Der Armagnac, den wir gemeinsam einnahmen, war wohl das geeignete Schlafmittel.


15. Mai 2009

Der Tag präsentierte sich grau in grau. Der ganze Weg über Asphalt und Stock und Stein, Wind und Regen war nicht unbedingt ein Aufsteller. Erst später zeigten sich ein paar zögerliche Sonnenstrahlen. Die Marschzeit versuchte ich mit Pfeifen und Gesang zu versüssen, es gelang mir einigermassen. Unglaublich wie viel unterschiedliche Melodien man nacheinander hinbekommt, aufs Tapet bringt, ohne die Selben zu wiederholen. Das Spiel ging schier zwei Stunden. Jedenfalls war ich glücklich, das Ziel erreicht zu haben. Trotz mieser Sicht konnte ich von hier aus bereits den Beginn der Pyrenäen erblicken.
Hier in „Larceveau“, hatte ich die herzige Herberge „Le Trinquet“ entdeckt, in der ich mich wohlfühlend unterbringen liess. Ein schöner Ort. Ich war an diesem Abend der einzige Gast. Auf der Speisekarte war Fisch und Schwein angesagt. Ich fragte nach Rind oder, eben, Ente. Das Steak, welches ich serviert bekam, war in der Form unde- finierbar gross. Ich habe mich buchstäblich durch diese Mahlzeit durchgearbeitet. Geschmacklich war das Stück Fleisch einzigartig. Das Kunststück war, die richtigen Teile dieses Monsters zu erreichen. Den Wein, den ich dazu bestellt hatte, passte hervorragend dazu. Ein Navarra, Jahrgang 2004. Ja, ich war ja bereits in der Nähe von Spanien.
Wie das Leben eben so spielt, die beiden Luzerner habe ich an diesem Ort wieder getroffen und logischerweise haben wir das Gespräch vom Vorabend wieder aufgenommen. Joseph und Hans-Kaspar waren angenehme Gesprächspartner. Auch an diesem Abend wurde es etwas später.


16. Mai 2009

Nun bin ich bereits seit über zehn Tage unterwegs. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor.
Die Strecke von „Larceveau“ nach „Saint-Jean-Pied-de-Port" war nicht anspruchsvoll und doch haben die rund vierzig km eingeschenkt. Ohne Umwege wären es etwas über zwanzig km gewesen. Der Asphalt auf der letzten Strecke war hart, das Wetter hingegen war sanft und sonnig. Nach den letzten Regentagen war dies ein echtes Geschenk.
Ungefähr zwölf km vor dem Ziel fuhr ein Personenwagen direkt auf mich zu. Ich dachte mir „was soll das“ und schon hielt das Vehikel neben mir an. Siehe da die Luzerner! Sie waren bereits auf dem Weg nach Hause. Eine der Ehefrauen hat sie in „Pied-de-Port“ mit dem Privatwagen abgeholt.
Der Polizeichef von Luzern, der hinten im Wagen sass, hielt mir ein Baguette und ein Apfel entgegen. „Zwischenverpflegung, du musst regelmässig etwas essen“, rief er mir zu. Nach einer kurzen freundlichen Unterhaltung brausten sie davon und ich trampelte weiter. Von diesen beiden blieb mir eine gute Erinnerung und ich dachte an die paar Begegnungen, die wir hatten.


17. Mai 2009

In „Saint-Jean-Pied-de-Port“ angekommen musste ich feststellen, dass ich wohl einen Ruhetag einplanen muss, denn mein linkes Schienbein war stark angeschwollen.
 
     

       
 
Die Entzündung hat sich, trotz Salben, stark ausgedehnt. Die Asphaltstrasse hat da stark mitgewirkt. Eine freundliche Apothekerin am Ort hat mich mit entsprechenden Medikamente versorgt und auf meine Frage auf ein Insider Typ punkto Restaurant eine Adresse durchgegeben. Darauf bin ich gleich in das Restaurant gegangen, um für den Abend einen Tisch zu reservieren.
Die Empfehlung war in Ordnung. Im Restaurant „Paxcal Oillarburu“, wohl ein basquischer Name, isst man wirklich gut. Der Inhaber, wie sich herausstellte, war tatsächlich ein Basque und kocht nur mit der Unterstützung einer Gehilfin alleine.
Nach dem Hauptgang, ich entschied mich nochmals für die Ente, vor dem Käse beschloss ich zu dislozieren und zwar in die Bar im Nebenraum.
Mit dem einheimischen Publikum habe ich mich gleich unterhalten und gut verstanden.
 
     
 
Jean-Baptiste, welcher in einem Altersheim arbeitet, Beüat bedient eine Wischmaschine der Gemeinde und Paxkal, der Maurer würden für mein Buch ein gutes Titelbild abgeben.
Hier spielt sich alles zweisprachig ab, sämtliche Informationen sind in französisch und basquisch angeschrieben. Die basquische Sprache ist für uns unverständlich. Ebenfalls wird man aus der Schrift nicht schlau. Es könnte eine östliche wie auch eine arabische Sprache sein.
In dieser Bar waren einige Männerportraits eingerahmt an der Wand aufgemacht. Auf meine Frage ob es sich um Dorfpolitiker handle, wurde ich aufgeklärt, dass es Basquen seien „die für unsere Sache kämpften“, nun seit fünf Jahren im Gefängnis sässen und dies ohne Prozess. Für mich ein Novum, dass es solche Umstände in einem EU-Land gibt.
 
   
 


18. Mai 2009

Für den spanischen Teil des Weges habe ich mir das Büchlein „Spanischer Jakobsweg“ (Wandern kompakt vom Bruckmann Verlag) besorgt. Gut dokumentiert, mit Karten und ausführlichen Beschreibungen der Wegstrecken. In Pamplona fiel meine Entscheidung und zwar eindeutig: Ich werde diesen Weg nicht zu Ende führen.
 
       
 
Bis „Burgos“ werde ich gehen, ein absehbares Ziel. Pamplona eine wunderschöne Stadt, teilweise bestehen die Quartiere noch aus dem Mittelalter. Die alten gepflegten Gassen mit den unzähligen kleinen Spezialitäten-Geschäften war ein Genuss zum hineinschauen. Es erinnerte mich an meine Kindheit, besassen doch meine Eltern ein Comestible-Geschäft mit ebenso vielen Frischprodukten und Spezialitäten. Auch hier sind die Bars und Restaurants typisch, eben spanisch. Unzählige ganz unterschiedliche Tapas rufen ein stetiges Hungergefühl hervor.
Abends, an einer dieser Bars, kam ich mit Elena und Stéphan ins Gespräch. Sie waren eben ein Jahr verheiratet, wie ich erfuhr, und leben heute in der Normandie. Dies war mir zusätzlich sympathisch, da ich diesen Landesteil Frankreichs in bester Erinnerungen habe. Als ich feststellte, dass mich die junge Frau ziemlich in Beschlag nahm und der junge Ehemann mich eher skeptisch schilderte, beschloss ich ziemlich kurzerhand, mich höflich zu verabschieden. Sie konnte oder wollte es nicht unterlassen, aus welchem Grund auch immer, mir ihre Karte mit ein paar netten geschriebenen Worten zu überreichen.
Ja, wie organisiere ich mich nun weiter. Spätestens in Burgos werde ich meine Pläne ändern. Ich begab mich in ein kleines Reisebüro, denn die Rückreise in die Schweiz war ja auch ein Thema.
Diego Rubio, Mitinhaber des Reisebüro „Turnasol Viajes“, eine sehr nette Persönlichkeit, las mir quasi meine Wünsche von den Augen ab und wir beschlossen, dass ich von Burgos mit einem Nachtbus nach Benidorm fahren werde, um dann zwei Tage später, wieder mit dem Bus, nach Alicante weiterzureisen, dort das Flugzeug zu besteigen und in Richtung Zürich zu fliegen. Schon in diesem Moment konnte ich es nicht erwarten, in meine schöne Schweiz zurückzukehren.
Das bedeutete, dass ich nach den noch bevorstehenden Marschstrapazen mit einem Nachtbus, Abfahrt 23.00 Uhr, Ankunft in Benidorm um 06.30 Uhr, fahren muss. Ein Einzelzimmer, trotz happigem Zuschlag, musste es schon sein.
Scheinbar war das Buchen eines Einzelzimmer in einem adäquaten Hotel keine einfache Sache. Jedenfalls verbrachte ich über zwei Stunden am Arbeitspult von Diego.
Als ich alle notwendigen Papiere und Dokumente besass und die Rechnung bezahlt hatte, verabschiedete mich Diego mit den Worten „wenn du das nächste Mal in Pamplona bist, brauchst du kein Hotel zu buchen, sondern du wirst mein Gast sein und wohnst bei uns“. Ich solle nach Pamplona kommen, wenn die grossen Festivitäten stattfinden, wenn die Stiere durch die Gassen getrieben werden. Das Volksfest dauert eine Woche.
Meine Kehrtwendung ist im Grunde genommen einfach zu erklären. Tagelang, ja wochenlang über 40 Km vor mich hin zu marschieren, ohne eigentliches Ziel, ich sah es jedenfalls nicht, ohne Höhepunkte, wie zum Beispiel ein Berggipfel zu bezwingen, hat mir die Laune genommen. Dazu kam, dass ich von Tag zu Tag feststellen musste, wie die ganze Angelegenheit, die sich Jakobsweg nennt, einen ausgesprochen kommerziellen Beigeschmack hat.
Die Begegnungen mit den Einheimischen waren erfrischend.
Die Leute, Frauen und Männer, meist über 60 Jahre alt, die ich auf dem Weg angetroffen, gekreuzt und überholt habe, kamen mir als graue, verschlossene Gestalten vor. Das Gerangel in den Unterkünften war schon fast zeremoniell. Der Geiz unterwegs und in den Unterkünften war ihnen buchstäblich anzusehen. Nein, das konnte so nicht weitergehen.
Einige Tage werde ich noch gehen, bis Burgos. Doch das Feuer, welches sich bei mir auf diesem Weg kaum entflammte, war erloschen. Zur „Kür“ kam nun die „Pflicht“, die ich mir selbst auferlegt hatte. „Burgos“ tönt gut, etwa 270 km, das war soweit in Ordnung. Und trotzdem dachte ich mir im Innersten, wieso habe ich nicht bereits in „Pamplona“ den Bus bestiegen. Ein Trost die ganze Heimreise war geplant und gebucht.


26. Mai 2009

Die Busreise von „Burgos“ nach „Benidorm“ war angenehm. Wobei nach dieser Marschiererei wahrscheinlich jede Reise in einem Fahrzeug so empfunden wird. Die Nachtfahrt, die mit 7-8 Std. angesagt war, noch nie war ich mit einem Car so lange unterwegs, erwies sich als Vorteil.
 
   
 
Früh morgens trafen wir in „Benidorm“ ein. Ein riesiges Car-Terminal nahm uns in Empfang, auch dies war Neuland für mich. Dass ich mal hier landen würde, hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können.
Ich bestieg ein Taxi und nannte dem Fahrer den Namen des Hotels.
Ich kannte den Ort visuell von Durchfahrten. Die „Urlaubsilos“ wie aus der Retorte gebaut, eine riesige Alterssiedlung. Unglaublich die Dimension der Gebäude, 30 Stockwerke, zum Teil auf weniger als 200 m2. Der Ort besteht grundsätzlich aus Hochhäusern auf schmalsten Parzellen. Unglaublich, sich diese Stadt vorzustellen, ohne es selbst gesehen zu haben.
 
         

       
 
„Benidorm“ ist eine Stadt mit 60'000 Einwohnern, in der Hochsaison beherbergt diese Stadt über eine halbe Million Touristen.
Ja klar, ich kam ja um 07.00 Uhr mit dem Taxi beim Hotel an und konnte mein Zimmer noch nicht beziehen, ein Riesenschiff mit ca. 300-400 Zimmern. Der Nachtportier gab mir um diese Frühzeit freundlich zu verstehen, dass ich mein Gepäck, zwei prallgefüllte Rucksäcke, deponieren könne. Das Zimmer hingegen wäre erst um 14.00 Uhr bereit.
Dies gab mir die Gelegenheit, die Küste im morgendlichen Sonnenschein abzulaufen. Ich war über zwei Stunden unterwegs. Es war ziemlich eindrücklich, zu dieser Tageszeit diese „Insel“ zu entdecken.
Ja, diese neue Situation war mehr als angewöhnungsbedürftig. Bereits um 10.00 Uhr durfte ich mein Zimmer beziehen. Nach der Einrichtung begab ich mich in die Freiräume, Schwimmbad usw. Was ich da antraf, und das betrifft ebenfalls den Strand, den ich in einigen Stunden ablief, war unglaublich.
 
     

       
 
Die Aufzüge gaben eine maximale Belastung von 600 kg an. Hier war in der Regel bei drei Personen, zumindest optisch, das Mass voll. Noch nie habe ich so viele gewichtige Menschen auf einen Punkt fokussiert wahrgenommen.
Doch nach einigen Stunden hatte ich mich einigermassen eingelebt. In einem Haus mit 800-1'000 Gästen musste alles top funktionieren, ohne Ausnahme hatten alle Vollpension. Die Gäste wie auch das Personal waren ausgesprochen freundlich und aufmerksam. Die Mehrheit der Gäste waren Franzosen und Engländer. Es soll hier mindestens 40% günstiger sein als bei ihnen zu Hause.
Am Abend liess ich mich mit dem Taxi an die linke Küste fahren. In einem amerikanischen Rock-Café, die Band war überwältigend: Keybort, Schlagzeug, zwei Gitarren, Bass und ein unerhört guter Sänger. Er wusste es auch.
Wieder mal ein Abend, der ein Aufsteller war. Spät am Abend, oder früh am Morgen, fuhr ich mit einem Taxi zurück ins Hotel. Am nächsten Morgen spürte ich den letzten Jack Daniels, der wohl zuviel war. Von meinen rund 1'900 Euros fand ich auf dem Tisch meines Zimmers lediglich noch drei zweihunderter Noten. Ist jemand in mein Zimmer eingedrungen, während ich schlief? Und wieso haben die nicht alles Bares mitgenommen? Habe ich beim Bezahlen des Taxis einen Teil meines Bargeldes, welches ich ohnehin immer in zu grossen Mengen mittrage, wahrscheinlich aus der Zeit „nur Bares ist wahres“, verhühnert?
Logischerweise begab ich mich auch am zweiten Tag wieder ins Rocklokal, wo am späten Nachmittag bereits eine Band spielte.
Als ich am nächsten Morgen erwachte, stellte ich fest, dass nun auch der Rest meines Geldes, ca. 550 Euro, verschwunden waren, inklusive meiner Visa und Identitätskarte.
Nun war es klar, man ist bei meinem Tiefschlaf wiederum bei mir eingedrungen und ich wurde buchstäblich in Etappen ausgeraubt. Jedenfalls war ich nach dieser Feststellung im Nu hellwach und niedergeschlagen. Ich begab mich blitzschnell an die Rezeption und versuchte dem Frontpersonal die Fälle zu erklären. Das Kopfschütteln und die Gesichter, welche Unglauben zum Ausdruck brachten, gab mir in meiner gekränkter Stimmung keinen Aufschwung. Der bestellte Techniker des Hauses, der mit einem Spezialgerät, die Karteneinschübe mengenmässig und zeitlich feststellen konnte, konnte zwischen 23.00 Uhr, das war die Zeit als ich das Zimmer aufsuchte, und 09.30 Uhr keine Eintragungen feststellen. Eine fremde Karte konnte somit nicht im Spiel sein.
Der Hoteldirektor, auf den ich verwiesen wurde, kreuzte erst um die Mittagszeit auf. Er bat mich höflich in sein Büro und hörte meine Geschichte wortlos an. Was wollte ich da überhaupt, dachte ich mir. Wie würde ich reagieren, wenn mir einer von 800-1'000 Gäste mit dieser Geschichte auffährt?
Auf meine Forderung, ein anderes Zimmer zu beziehen, ging er freundlich ein. Ich konnte somit vom Elften ins siebzehnte Stockwerk umziehen.
Beim Einpacken meiner Effekten kamen unter dem Stern und Spiegel die 550 Euro und die Visa, die ich in der Zwischenzeit unter komplizierten Umständen sperren liess, wie auch die ID zum Vorschein.
Nun ich war offengestanden erleichtert, nicht nur um die 1'300 Euros, die ich wahrscheinlich am Vortag verhühnert hatte, sondern echt erleichtert, dass ich wohl nicht ausgeraubt wurde.
Ja, das Leben in einem Gruppenhotel spielt sich alle Tage gleich ab, selbstverständlich mit Vollpension. Über das Buffet konnte man sich nicht beklagen, mit der nötigen Fantasie war es möglich, etwas zusammen zu stellen. Gewürzt war eigentlich nichts. Ich schnappte mir immer Öl, Essig, Salz und Pfeffer und dann begann das Zeremoniell des Würzens.
Die Essenskultur, die da vorherrscht, war buchstäblich desaströs. Nicht nur, dass beim Trinken die Gläser vollhändig gepackt werden (wieso hat ein Glas einen Stiel?). Eine Vielzahl der Gäste lag förmlich auf den Tellern. In vielen Fällen, da sie durch ihre Üppigkeit gar nicht zum Tisch kommen konnten. Der Höhepunkt war ein Paar, welches sieben prallvolle Teller, die sie kaum auf den Tisch brachten, heranschleppten, bevor „das grosse Fressen“ (La grande bouffe) begann. Der Gipfel meiner Beobachtung war, dass jeweils alles aufgegessen wurde.
Ich pickte mir jeweils ein paar „Rosinen“ vom Buffet. Dazu begleitete mich mittags eine Flasche Weissen und abends eine Flasche Roten.
Was mir ebenfalls auffiel in diesem Teil Spaniens, oder anders gesagt in diesem Ambiente, mehrheitlich bei spannischen Gästen, dass die Männer von ihren Damen wie „Dienstboten“ behandelt wurden.
Kann damit zusammenhängen, dass die Rentner das Zepter abgegeben haben und nicht mehr zu den Beutemachern gehören?
Die in der Hotelumgebung täglich angebotene Spiele wie Bogenschiessen, Petanque, Gewehr- und Pistolenschiessen à la „Club Mediteranée“, nur eher verdünnt, sind willkommene Abwechslungen zum Nichtstun und um die Eintönigkeit zu verkürzen.

Uff, heute ist Abreisetag, die Rückreise beginnt: „Benidorm“- „Alicante“- „Zürich“.
Nun war ich rund einen Monat von zu Hause weg.

Am Flughafen von „Alicante“ kam ich mit einem Franzosen, der an der Information arbeitet, ins Gespräch. Auf meine Frage, ob er da wohne, teilte er mir mit, ja seit drei Jahren. Wieso. fragte ich weiter. Er gab mir zu verstehen, dass der Lebensstil der Spanier für ihn ausschlaggebend sei. „Zuerst kommt das Leben, das Wohlbefinden und dann erst das Materielle“. Das war der Grund seiner Entscheidung, sich hier einzurichten, obwohl er zu Hause das Dreifache verdienen könnte.
Ja, das Wohlbefinden, „Le bien être“, kann man nicht kaufen, das fühlt man.

Einen Rucksack voller Eindrücke trage ich mit nach Hause. Die Vielfältigkeit und Unterschiedlichkeit meiner Eindrücke können kaum übertroffen werden.
Eines bin ich mir jedoch bewusst.

Der Jakobsweg kann nicht als Alternative dienen.